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Im Westend war in der Schwindstraße 8
eine Wohnung im 1. Stock frei geworden. Daß die Hausbesitzer Juden*)
waren, störte niemand. Aus dem weitläufigen Rödelheimer Haus mit Keller
und Dachboden in eine Etagenwohnung mit einer kleinen Mansarde – wie
sollte das geschafft werden! Bei aller Vorplanung ging es jetzt an das
richtige Vermessen, Packen oder Verkaufen. Bücher, die sich seit
Generationen angesammelt hatten, kamen nach Frankfurt in ein Antiquariat
(wo sie dann im Krieg verbrannten). Manches Möbelstück, daß wir später
gut hätten brauchen können, wurde verkauft. Daß mein schönes großes
Mahagonibett mir erhalten geblieben ist, verdanke ich nur dem Umstand, daß
ich es außer einem Tisch, zwei Sesseln und einem Schrank mit nach
Dortmund nehmen konnte. Dort war man froh, für die neue Sekretärin keine
Möbel anschaffen zu müssen. Auf Wunsch der Mutter war der Antritt dieser
Stellung auf den 1. November verschoben worden. Bernd hatte noch
Semesterferien. Mit der Mutter zusammen waren wir das eigentliche
Umzugsteam. Zeit für Abschiedsschmerz blieb uns keine. Auch der Vater
hatte sich mit der Situation abgefunden.
Wir hätten ein kleines Jubiläum feiern
können: vor 125 Jahren hatte unser Ururgroßvater den ersten Ankauf in Rödelheim
getätigt. Aber wer dachte schon an die Vergangenheit! Es ist das Recht
der Jugend, sich der Zukunft zuzuwenden.
*)
Und doch war dies mit ein Grund dafür, daß die Eltern schon 3 ½ Jahre
später nach Bad Homburg zogen, fort aus der Großstadt.
Es
war Folgendes passiert, - ich war damals nicht in Frankfurt, zum Glück
war aber Elisabeth zu Hause -: eine Horde SA-Leute begann vor dem Haus zu
randalieren und versuchte bei der jüdischen Familie im Erdgeschoß
einzudringen. Der Vater, voller Empörung, wollte eine Schüssel mit
Wasser herunterschütten. Nur mit aller Gewalt konnten die Mutter und
Elisabeth ihn daran hindern. Nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn
der Vater das Wasser heruntergeschüttet hätte!
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